15. April 2025

Zwischen Angst und Aktivismus: Wie queere Menschen ihre mentale Gesundheit schützen können

Die politische Lage in Deutschland, Europa und weltweit verschärft sich für queere Menschen zunehmend. In den USA werden trans* Rechte systematisch eingeschränkt, Ungarn kriminalisiert queere Sichtbarkeit, und auch in Deutschland gibt es Angriffe auf bereits erkämpfte Rechte. Die gesellschaftliche Debatte über das Selbstbestimmungsgesetz, Feindseligkeiten von rechts und ein zunehmendes Klima der Unsicherheit belasten viele queere Menschen psychisch. Tobias Herrmann-Schwarz, der im Berliner CSD-Team seit mehreren Jahren als Psychologe aktiv ist, hat mit den queeren Psychotherapeut*innen Flora Färber, Miriam Junge und Silvio Olmedo-Paasch über ihre Beobachtungen und Erfahrungen gesprochen. Sie schildern, dass in Beratungssitzungen und Therapien Angst, Ohnmachtsgefühle und Sorgen über die Zukunft zentrale Themen sind. Doch wie kann man trotz dieser belastenden Lage psychisch gesund bleiben? Wie gehe ich vor allem als Aktivist*in mit Feindseligkeit sowie mit meiner Gesundheit um?

Strategien für mehr psychische Stabilität

Manchmal hilft es, die Situation mit einer Prise Humor zu betrachten. Ein Satz wie „Wir haben zum Glück ja noch 4 Jahre Zeit“ kann für einen Moment die Anspannung nehmen. Ebenso wichtig ist das Bewusstsein, dass niemand mit diesen Sorgen allein ist. Der Austausch mit Gleichgesinnten kann Halt geben. In der Therapie wird zudem daran gearbeitet, die eigene Informationsflut zu reduzieren, sich auf positive Kontakte zu konzentrieren und Grübelschleifen zu durchbrechen. Hier helfen Techniken wie kognitive Defusion oder das bewusste „Zu-Ende-Denken“.

Sich gesellschaftlich zu engagieren – sei es in einer Initiative, Partei oder Community-Arbeit – kann das Gefühl von Kontrolle und Wirksamkeit stärken. Wer aktiv wird, fühlt sich seltener hilflos und erlebt oft eine stärkere soziale Verbundenheit. Auch Bewegung, Sport oder Meditation können helfen, aus belastenden Gedankenkreisen herauszukommen.

Selbstreflexion kann zudem folgende Aspekte beleuchten: Welche Strategien haben mir bisher geholfen? Welche Bedürfnisse stecken hinter meiner Angst oder Wut? Wie kann ich mich selbstwirksam erleben und wo sollte ich mich lieber abgrenzen? Ist mein Social-Media-Konsum förderlich oder verstärkt er negative Gefühle? Habe ich genug soziale Kontakte, um meine Sorgen zu teilen?

Darüber hinaus sollten wir uns bewusst machen, dass es okay ist, belastet zu sein und nicht immer eine Lösung parat zu haben – und somit Mitgefühl mit sich selbst zu entwickeln.

Für akute Belastungssituationen sind unter folgendem Link ganz konkrete Übungen zusammengestellt: https://paartherapie-herrmann-schwarz.de/artikel/uebungen-fuer-akute-belastung-bei-ueberforderung/

No-Gos: Was unbedingt vermieden werden sollte

Es gibt einige Verhaltensweisen, die den Stress verstärken können, anstatt zu entlasten. Sich permanent nur mit Politik zu beschäftigen oder ausschließlich negative Nachrichten zu konsumieren, kann das Angstgefühl und die mentale Belastung erhöhen. Es ist wichtig, sich bewusst Zeiten ohne politische Inhalte zu gönnen, um Kraft zu schöpfen. Ebenso sollte man vermeiden, sich in endlose und zermürbende Diskussionen zu verstricken, insbesondere mit Menschen, die ohnehin nicht offen für einen konstruktiven Austausch sind.

Ein weiteres Risiko besteht darin, sich aus Angst zurückzuziehen und soziale Kontakte zu vernachlässigen. Der Austausch mit anderen kann jedoch ein wertvoller Schutzfaktor sein. Gleichzeitig sollte auch Überforderung vermieden werden: Nicht jede*r muss dauerhaft aktiv sein – Pausen und Selbstfürsorge sind ebenso wichtig.

Tückisch ist auch das sogenannte Doomscrolling: Wenn der eigene Social-Media-Feed vor allem Angst und Katastrophengedanken schürt, lohnt es sich, den Algorithmus bewusst zu beeinflussen und den eigenen Medienkonsum zu hinterfragen. Der Griff zu Alkohol, Tabak oder anderen Drogen ist keine hilfreiche Bewältigungsstrategie und sollte unbedingt in diesem Kontext vermieden werden. 

Wo gibt es Hilfe?

Queere Beratungsstellen, Psychotherapie und Selbsthilfegruppen bieten Unterstützung in belastenden Zeiten. Der Austausch mit Gleichgesinnten hilft, sich weniger allein zu fühlen. Wer das Gefühl hat, dass die Belastung zu groß wird, sollte nicht zögern, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Erste Anlaufpunkte können die 116 117 sein (Patient*innenservice zur Vermittlung von Psychotherapie), der Berliner Krisendienst oder die Schwulenberatung. Das Info-Telefon Depression kann ebenfalls kostenlos kontaktiert werden.

Die politische Lage mag unsicher sein, aber unser psychisches Wohlbefinden können und sollten wir aktiv schützen. Indem wir bewusst mit dem Nachrichten- und Social-Media-Konsum umgehen, uns in unterstützende Netzwerke einbinden und unsere Selbstfürsorge nicht außer Acht lassen, können wir auch in schwierigen Zeiten widerstandsfähig bleiben.

Tobias Herrmann-Schwarz, Team Mental Health – Taskforce Berliner CSD e.V.

Foto-Credit: Tinett Kähler