1. Juni 2021

Queerdar #1 – Queerantine und dann? von Sonja Koppitz

Wie sich Covid19 auf die mentale Gesundheit der LGBTIQ* Community auswirkt

“Wir alle brauchen jemanden, der auf uns aufpasst!”, sagte Frau Prof. Isabella Heuser-Collier, Direktorin der Psychiatrie am Charité Campus Benjamin Franklin einmal in einem Interview zu mir. Doch das mit dem aufeinander Aufpassen war und ist während der Pandemie bekanntlich schwierig. 

***

Sonja Koppitz (39) ist freie Radiojournalistin, Podcasterin, Autorin und mental health Aktivistin aus Berlin. Die Erfahrungen mit ihrer eigenen Depression und ihr Wissen rund um psychische Gesundheit verarbeitet sie in den Podcasts “Spinnst du? Eine Woche in der Psychiatrie” (radioeins vom rbb), “Kopfsalat – Der Freunde fürs Leben Podcast über Depressionen” (Freunde fürs Leben e.V.) und “Noch ganz dicht! Mythen über die mentale Gesundheit” (podimo). Im Dezember 2021 erscheint ihr erstes Buch: “Spinnst du? Warum psychische Erkrankungen ganz normal sind” (rowohlt).

*** 

Obwohl das COVID-19 Virus nicht diskriminiert, ist klar, dass es besonders marginalisierte Gemeinschaften hart trifft. Auch die LGBTIQ* Community. Bars, Clubs, Kinos – Treffpunkte aller Art, an denen man sich sicher fühlen, geoutet und spontan sein kann, waren oder sind geschlossen. Doch gerade das Gefühl von Verbundenheit, Nähe, Intimität, Selbstvergewisserung und Bestätigung lässt uns in Krisenzeiten Kraft schöpfen und füttert unsere Resilienz, unsere psychische Widerstandskraft. Präventionsmaßnahmen, wie social distancing und der Wegfall von Schutzräumen hatten und haben negative Auswirkungen – auch auf unsere mentale Gesundheit.

Queere Menschen haben im Vergleich zur heterosexuellen Gesamtbevölkerung sowieso häufiger mit Depressionen, Burn-out, Angststörungen, Suchterkrankungen, Suizidgedanken oder selbstschädigendem Verhalten als Auswirkung von heteronormativ motivierter Diskriminierung zu tun. Das geht aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hervor. Als Grund werden Diskriminierungserfahrungen und sogenannter Minderheitenstress genannt. Und das auch ohne Pandemie. 


Lockdown und Co. haben schädliche Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der LGBTIQ*-Community

Eine Studie des University College London und der Sussex University über die Erfahrungen von LGBTIQ*-Personen während der Pandemie ergab, dass 69 % der Befragten an depressiven Symptomen litten. Lockdown und Co. haben schädliche Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der LGBTIQ*-Community, folgern die Autor*innen der Studie. Vor allem jüngere Menschen, die mit bigotten Verwandten eingesperrt sind, träfe es am härtesten.
Die Co-Autorin der Studie, Laia Bécares sagt: „Viele mussten zurück ‘in den Schrank’ und mit Menschen leben, die entweder ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität nicht kannten oder sie nicht unterstützten. Die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit sind enorm.“
Denn was ist mit denjenigen unter uns, die aufgrund ihrer sexuellen Identität oder Orientierung von ihren Familien abgelehnt werden, aber während Lockdown oder Quarantäne gezwungen werden, die ganze Zeit bei ihnen zu sein? Das kann auch zu einer Zunahme der häuslichen Gewalt – emotional oder physisch – an LGBTIQ*-Menschen führen.

Kontaktbeschränkungen: Herkunftsfamilie vs. Wahl- und Ersatzfamilie

Dazu kommt gleichzeitig, dass viele von der Community und damit von ihrem Unterstützungsnetzwerk abgeschnitten sind. In den Kontaktbeschränkungen waren und sind zwar gleichgeschlechtliche Paare bzw. Lebenspartner*innen berücksichtigt, doch bei der Definition von Familie hat die Politik noch immer die heteronormative Idee einer biologischen Verwandtschaft. Hier steht Herkunftsfamilie gegen Wahlfamilie – letztere ist für viele überlebenswichtig. Alle Formen von Regenbogenfamilien über den eigenen Hausstand hinaus sind weitere betroffene „de-facto-Familien“. Bei den Corona-Maßnahmen wäre ein umfassenderes Verständnis des Begriffs „Familie“ oder „Haushalt“ wünschenswert gewesen. 

Rückzug statt Sichtbarkeit

Ausgangsbeschränkungen, Einreise- und Kontaktverbote oder Schließungen von Einrichtungen führen zu einem Rückzug aus dem öffentlichen Raum. Treffen von Coming-out-Gruppen fallen aus. Genau wie Beratungen und Gruppentreffen oder Verfahren zur Vornamens- oder Personenstandsänderung. Geschlechtsangleichende Operationen wurden  auf unbestimmte Zeit verschoben. Trans* Personen sind von den Corona-Maßnahmen besonders stark betroffen, wenn Alltägliches zum Spießrutenlauf wird. Das in Coronazeiten erwünschte bargeldlose Bezahlen kommt für trans* Personen einem Zwangsouting gleich, wenn der Name auf der EC-Karte nicht mit dem Geschlechtsausdruck übereinstimmt. 

Na klar, Corona betrifft uns alle. Und jeder Mensch, der eine Psyche hat, kann psychisch krank werden – also jede*r von uns. Aber diejenigen unter uns, die sich auch ohne Pandemie regelmäßigen Stressoren wie Diskriminierung, Gewalt, Stigmatisierung, Gatekeeping oder Misgendering ausgesetzt sehen, sind in einer weltweiten Ausnahmesituation wie der Pandemie doppelt gelackmeiert.

Wie sich Covid19 auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen auswirkt? 

An der UCLA befragte man schwule und bisexuelle Männer während der Pandemie. „Wir wissen, dass alle Menschen von der Isolation betroffen sind, die aus der physischen Distanzierung resultieren kann“, sagte Ian Holloway, außerordentlicher Professor für Sozialfürsorge an der UCLA. „COVID-19 hat Stress, Angst und soziale Isolation in unser Gemeinschaft verschärft.“

Vielerorts wurden zu Recht Regenbogenrettungsschirme gefordert. Corona und die damit einhergehenden politischen Entscheidungen treffen eben nicht alle Menschen gleich, sondern je nach Lebenslage unterschiedlich und unterschiedlich hart. Corona ist ein Katalysator für bestehende Probleme oder wirkt wie ein Brennglas. Bestehende Verletzlichkeiten und Ungleichheiten werden verstärkt. Laut dem US-amerikanischen Trevor Project können 40% der LGBTIQ*-Jugendlichen während der Pandemie nicht mehr im gleichen Maße sie selbst sein wie davor. Bleibt zu hoffen, dass wir es alle wieder irgendwann sein können. Und vor allem, dass wir die Pandemie körperlich und mental unversehrt überstehen!

Quellen:

[1]